Indoeuropäische Sprachen

Allgemein

Aufgrund von Ähnlichkeiten werden Sprachen zu Gruppen zusammengefaßt. Der Grad der Ähnlichkeit ermöglicht dann eine weitere Einteilung in Unter- und Obergruppen.

Forschung

Ende des 18. Jahrhunderts begann in Europa mit William Jones (1746-1794) die nähere Beschäftigung mit dem Sanskrit. Laute, Formen und Wörter des Sanskrit, Griechischen, Lateinischen und vieler lebender europäischer Sprachen wurden miteinander verglichen und gewisse Ähnlichkeiten wurden festgestellt. Die Verschiedenheiten zwischen den Lauten, Formen und Wörtern ließen sich durch die Entwicklung erklären, die in den vorliegenden schriftlichen Dokumenten zu verfolgen war.

Der Beginn der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft wird durch folgende Werke markiert:

Friedrich Schlegel (1808): Über die Sprache und Weisheit der Inder.
Franz Bopp (1816): Über das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache.
Franz Bopp (1833-1852): Vergleichende Grammatik.
Rasmus Kristian Rask (1818): Untersuchungen zum Ursprung der altnordischen oder isländischen Sprache.
A. Ch. Wostokow (1820): Abhandlungen über die slawischen Sprachen.
Jacob Grimm (1819-1834): Deutsche Grammatik.
Jacob Grimm (1845): Geschichte der deutschen Sprache.
Friedrich Diez (1836-1844): Grammatik der romanischen Sprachen.

In Anlehnung an die menschlichen Verhältnisse wurden die Sprachen als lebende Organismen gesehen. Deshalb wurde von einer genealogischen Verwandtschaft der Sprachen gesprochen, vom Stammbaum der Sprachen, von einer Sprachfamilie. In dieser sprachhistorischen Sicht sind die romanischen Sprachen Tochtersprachen des Lateins. Die Gruppe des Lateinischen bildete mit den oskisch-umbrischen Mundarten das sogenannte Uritalisch, das in einigen Zügen durch eine vergleichende Betrachtung der beiden Gruppen erschlossen werden kann. Eine weitgehende Rekonstruktion des Uritalischen ist nicht möglich, da das Oskisch-Umbrische nur lückenhaft durch Inschriften und vereinzelte Angaben bei römischen und griechischen Schriftstellern bekannt ist. Es genügt aber, um zu erkennen, daß dieses Uritalische zum Griechischen im Verhältnis von Schwester zu Schwester steht.

Bei der Erforschung der genealogischen Zusammenhänge wurde besonderes Gewicht auf die Lautveränderungen gelegt. Nach den Anschauungen vieler Forscher der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten die Veränderungen der Laute nach bestimmten Gesetzen, die wie Naturgesetze wirkten. Ausnahmen von diesen Gesetzen wurden durch die Wirkung von Analogien erklärt. Aufgestellt wurden die Lautgesetze v.a. von den Junggrammatikern (Leskien, Brugmann, Osthoff, später dann von dem Dänen K. Verner, dem Franzosen M. Bréal und anderen).

Der Vergleich verschiedener Sprachen in ihrem gegenwärtigen Zustand und auf früheren Stufen war besonders fruchtbar auf dem Gebiet der indoeuropäischen Sprachen, da von ihnen viele Einzelsprachen und viele älteren Stufen bekannt waren. Um eine Sprache dieser Sprachfamilie zuzuordnen, wird normalerweise die Übereinstimmung lexikalischer und morphologischer Elemente wie der ersten Grundzahlen, etwa 1 - 6, des Grundwortschatzes - Mutter, Vater etc., der wichtigsten Morpheme, des Ablauts der Stammmorpheme verlangt.

Es wird davon ausgegangen, daß sich das Indoeuropäische, das eine nicht-überlieferte Sprache darstellt, zum Teil aus den Erscheinungsformen jener heutigen Sprachen und ihrer früheren Stufen erschließen läßt, die auf Grund ihrer Merkmale als indoeuropäisch gelten. Dabei wird versucht, nach Möglichkeit von allen diesen Sprachen die älteste Erscheinungsform zu finden und aus diesen Erscheinungsformen die letzte Stufe, das Urindoeuropäische, zu rekonstruieren.

Betrachten wir in den einzelnen Sprachen zum Beispiel das Wort für Mutter: Das kurze u in neuhochdeutsch Mutter war im 12. Jahrhundert ein langes u:; vor dieser Zeit ist eine andere Form muoter überliefert, die als althochdeutsch bezeichnet wird. Dasselbe Wort findet sich auch in anderen Sprachen:

altindisch ma:ta:
avestisch ma:ta:r
altirisch ma:thir
lettisch ma:te
altgriechsich 'mæ:tæ:r
altbulgarisch mati, matere (Genetiv)
dorisch 'ma:tæ:r
altenglisch mo:dor
lateinisch ma:ter
althochdeutsch muoter