Verarbeitung impliziter Anaphern beim Sprachverstehen

Monika Hofmann

Graduiertenkolleg Kognitionswissenschaft, Universität Hamburg
Vogt-Kölln-Str. 30, 22527 Hamburg
E-Mail: hofmann@informatik.uni-hamburg.de

Nach Sag & Hankamer (1984) erfordert die Interpretation impliziter Anaphern (Ida kauft Bonbons und Kai ___ Schokolade.) den Zugriff auf ihr Antezedens (kauft). Die Verarbeitung der Anapher sollte also eine Suche nach diesem Element auslösen. Hinweise auf das Zutreffen dieser Annahme liefert z.B. der Befund, daß die Vergrößerung der Distanz zwischen Anapher und Antezedens einen Anstieg der Satzlesezeit bewirkt (vgl. Tanenhaus & Carlson, 1990). Diese Daten lassen jedoch keine Aussagen darüber zu, wann die Reaktivierung des Antezedens iniiert wird. Erfolgt sie unmittelbar nach dem Auftreten der Anapher, sollte das Antezedens bereits vor dem Satzende gut verfügbar sein.
Diese Vorhersage wurde mittels einer Wort-Wiedererkennungs-Aufgabe überprüft. Die Probanden lasen Sätze (wortweise). Vor oder nach der Anapher wurde ein Testwort präsentiert. Dieses war entweder das Antezedens (kauft) oder das Objektnomen des ersten Satzes (Bonbons). Während sich vor der Verarbeitung der Anapher kein Unterschied zwischen den verschiedenen Testwörtern zeigte, waren danach signifikant kürzere Wortwiedererkennungszeiten für das Antezedens registrierbar. Dieses Ergebnismuster spricht dafür, daß die Interpretation der Anapher nicht mit den satzfinalen Integrationsprozessen zusammenfällt.
Um innerhalb derselben Wortkategorie vergleichen zu können, wurde im folgenden Experiment eine lexikalische Entscheidungsaufgabe verwendet. Neben dem Antezedens-Verb wurde ein bezogen auf den die Anapher umgebenden Kontext semantisch assoziierbares sowie ein neutrales Verb als Testwort dargeboten.
Zwischen dem Antezedens und dem semantisch assoziierbaren Verb waren keine Latenzunterschiede nachweisbar. Neutrale Verben hingegen wurden an beiden Testpositionen signifikant langsamer beantwortet. Dies könnte darauf hindeuten, daß die Reaktivierung des Antezedens noch nicht abgeschlossen war und daher kontextuell plausiblere Kandidaten noch nicht vollständig inhibiert waren.

Referat in der Gruppe Sprache II, Dienstag, 30. März 1999, 11:00, HS 17

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