In zwei Experimenten wurde der Einfluß diskurszeitabhängiger Inferenzen auf die Sachverhaltsrepräsentation im mentalen Modell untersucht. Als Untersuchungsmaterial dienten narrative Texte, in denen kritische Objekte eingeführt wurden, die regulär mit Verlauf von Zeit entweder verschwinden (z.B. Schneemann) oder entstehen (z.B. Sonnenblume). Jeder Text lag in zwei Versionen vor, die sich darin unterschieden, ob die in einem nachfolgenden Satz dargebotene Zeitinformation eine Veränderung der Existenz des kritischen Objekts bedingte oder nicht. Werden während der Textverarbeitung zeitbezogene Sachverhaltsänderungen inferiert, so sollte die Angabe der Zeitinformation ein entsprechendes updating des mentalen Modells induzieren. Dies sollte zu Unterschieden in der Verfügbarkeit der kritischen Objekte führen, in Abhängigkeit davon, ob die dargebotene Zeitinformation ihre Existenz in der beschriebenen Situation impliziert. In Experiment I wurde die Inferenz zeitbezogener Sachverhaltsänderungen mittels der Wortwiedererkennungsmethode geprüft. Die Variation der Zeitinformation zeigte jedoch keinen Einfluß auf die Verifikationszeiten. In Experiment II wurde der Einfluß zeitabhängiger Inferenzen auf die Textverarbeitung unter Verwendung des Widerspruchsparadigmas überprüft. Für einen kritischen Satz zeigten sich längere Lesezeiten, wenn die dort beschriebene Eigenschaft des kritischen Objekts unplausibel zur zuvor gelesenen Zeitinformation war. Dies weist darauf hin, daß beim Textverstehen diskurszeitabhängige Inferenzen von Sachverhaltsänderungen gezogen werden. Die Ergebnisse von Experiment I sprechen jedoch dagegen, daß die zeitabhängige Inferenz schon während der Verarbeitung der Zeitangabe erfolgte. Befunde von de Vega (1995) zum räumlichen Bereich legen nahe, daß die Inferenz bezüglich der Veränderung der Objekte erst aufgrund ihrer erneuten Erwähnung im kritischen Satz gezogen wurde.
Referat in der Gruppe Verarbeitung und Repräsentation zeitlicher Information, Mittwoch, 31. März 1999, 16:00, HS 16
