Mechanismen räumlicher Perspektivenwechsel

Mark May

Institut für Kognitionsforschung, Universität der Bundeswehr Hamburg
Postfach, D-22039 Hamburg
E-Mail: mark.may@unibw-hamburg.de

Chronometrische Untersuchungen zum Gedächtnisabruf von Objektlokationen nach Perspektivenwechseln zeigen, daß vorgestellte Repositionierungen schwieriger sind als körperlich ausgeführte Repositionierungen. Vorgestellte Rotationen (Drehung im selben Punkt) wiederum sind schwieriger als vorgestellte Translationen (Versetzung zu einem anderen Punkt). Erklärungen beider Befunde greifen entweder auf zusätzliche analoge räumliche Transformationen (Easton & Sholl, 1995) oder auf Interferenzen zwischen kognitiven und sensomotorischen Mechanismen (May, 1996, 1998) bei räumlichen Perspektivenwechseln zurück. Über Experimente zur Prüfung der gegensätzlichen Modellannahmen wird berichtet.
Probanden lernten acht Objektlokationen in ihrer unmittelbaren räumlichen Umgebung (r = 250cm) und mußten diese nach Ausschluß der Sicht unter verschiedenen Bedingungen vorgestellter Perspektivenwechsel anzeigen (Auslenkung eines Joysticks). Variiert wurde die Repositionierungsform (Rotation vs. Translation), das Ausmaß der positionsbedingten Änderung der egozentrischen Objektrichtung (Richtungsdisparität) und das Zeitintervall zwischen Darbietung der Positions- und Objektinformation (SOA). Gemessen wurden Latenzzeiten und Fehler der Richtungsanzeigen.
Unter zwei Darbietungsreihenfolgen von Positions- und Objektinformation (Exp. 1 und 2) zeigten sich systematische Leistungseinbußen als Funktion der Richtungsdisparität (linearer Anstieg der Latenzen und Fehler), mit zusätzlichen Leistungseinbußen für Rotationen gegenüber Translationen (konstanter Latenz- und Fehlerunterschied innerhalb der Experimente). Die Latenzzeiten für beide Repositionierungsformen sanken mit zunehmender Vorbereitungszeit (SOA) zwar ab, die beobachteten Leistungsunterschiede zwischen Rotationen und Translationen blieben aber auch noch nach einem Intervall von 5 Sekunden stabil bestehen.
Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu Modellannahmen, die die Schwierigkeit vorgestellter Perspektivenwechsel über zusätzliche räumliche Transformationsanforderungen zu erklären versuchen. Gleichzeitig stützen sie Modellannahmen, die Interferenzen zwischen inkompatiblen Raumwerten auf benennbaren Verarbeitungsstufen für die Schwierigkeit räumlicher Perspektivenwechsel verantwortlich machen.

Referat in der Gruppe Gedächtnis I, Dienstag, 30. März 1999, 09:00, HS 16

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