Das Alphabet des Hörens

Christian Kaernbach

Institut für Allgemeine Psychologie, Universität Leipzig
Seeburgstraße 14-20, 04103 Leipzig
E-Mail: chris@psychologie.uni-leipzig.de

Auf den verschiedenen Ebenen der auditiven Verarbeitung sind Wahrnehmungsinhalte jeweils verschieden kodiert. So liegt das auditive Signal im Hörnerv vor als eine Reihe sich zeitlich verändernder Spektralkomponenten. Einer bestimmten Kodierung auf neuronaler Ebene muß aber kein Wahrnehmungseindruck entsprechen. So empfinden wir Schallereignisse nicht als ein Bündel von Spektralkomponenten. In der Physiologie gibt es Ansätze auf Basis der umgekehrten Korrelation ("reverse correlation"), bei denen der optimale Stimulus für ein gerade gemessenes Neuron errechnet werden kann. Mit diesem Ansatz sind kürzlich (deCharms et al., 1998, Science 280, 1439-1443) die spektrotemporalen rezeptiven Feldern von Neuronen im primären auditiven Kortex gemessen worden, und es ergaben sich als Optimalstimuli komplexe, mehrteilige, transiente und stationäre Muster mit erregenden und hemmenden Anteilen. Es ist aber keineswegs selbstverständlich, daß die im primären auditiven Kortex vorgefundene Kodierung auf Einzelzellniveau unserem Wahrnehmungseindruck entspricht. Dies kann letztlich nur durch Verhaltensexperimente geklärt werden. In der hier vorgestellten Studie wird mit Hilfe der umgekehrten Korrelation auf der Basis von Verhaltensdaten die erste bewußt wahrgenommene Stufe früher auditiver Kodierung untersucht. Als Stimulus kommt dabei ein Zufallsstimulus (repetitives Rauschen) zum Einsatz. In diesem Rauschen werden mit Hilfe des Echogedächtnisses Strukturen hörbar, die primitiven auditiven Eigenschaften ("features") des Signals entsprechen. Aus den Maskierungseigenschaften von anderem Rauschen für das repetitive Rauschen errechnen sich Optimalstimuli für die Erregung dieser primitiven feature-Detektoren. Es ergeben sich Optimalstimuli ähnlich den von deCharms et al. gefundenen spektrotemporalen rezeptiven Feldern im primären auditiven Kortex. Dies legt nahe, zu vermuten, daß den primitiven, in Zufallsstimuli wahrnehmbaren Perzepten Einzelzellerregungen im primären auditiven Kortex entsprechen.

Referat in der Gruppe Auditive Wahrnehmung, Mittwoch, 31. März 1999, 14:00, HS 20

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